1-2/2001 Wohnen und Netz

Die aktuelle Konjunktur so genannter Reality Soaps im TV wird unterstützt von dem Medium Internet, das bei allen einschlägigen Sendungskonzepten wesentlichen Anteil hat. Ein Ursprung dieses Formates ist die TV-Serie „An American Family“ von PBS aus dem Jahr 1971, in der eine „typische“ weiße Mittelklassefamilie ein halbes Jahr lang von Kamerateams im täglichen Leben begleitet wurde. Aus dem dabei gewonnenen Material konnten schließlich 12 einstündige Folgen geschnitten und gesendet werden. Das Projekt verlief jedoch aus PBS-Sicht nicht erfolgreich, die Eltern der Family ließen sich wenig später scheiden und PBS war mit der Tatsache konfrontiert, dass eine Sendung, die eigentlich die heile Familie beschwören sollte, diese eher dekonstruiert hatte. Ähnlich angelegt ist die seit 1992 auf MTV laufende Serie „The Real World“, in der sieben einander unbekannte Personen mehrere Monate lang zusammen leben und dabei gefilmt werden. Allerdings sind die Teilnehmer hier nicht von der Außenwelt abgeschnitten, es gibt keine Abwahl und es existiert ein Autorenteam, dass Stories für die Folgen schreibt. Anders als sonst bei neuen TV-Konzepten üblich sind jedoch die neuen Reality Soaps wie „Big Brother“ eine europäische Erfindung, die schließlich in diesem Jahr in die USA reimportiert wurde. Federführend waren dabei die holländische Firma Endemol und die skandinavischen Länder, z.B. Strix Television AB aus Schweden, die „Expedition Robinson“ und „Die Bar“ erfunden hat. In Schweden gab es sogar einen Teilnehmerselbstmord nach Serienabschluss, der Zusammenhang mit der Sendung wurde allerdings bestritten und das Format lief weiter. Neben den genannten Vorläufern dürfte eine Inspiration für die Veröffentlichung des „Privaten“, wie es in Reality-Formaten geschieht, die Webcam sein. Die angeblich erste Kamera, die laufend aktuelle Videobilder ins Internet speiste, wurde an der Universität Cambridge 1991 installiert, um den Mitarbeitern den Füllstand der Kaffeemaschine zu zeigen, ohne dass diese vom Schreibtisch aufstehen mussten. Inzwischen gibt es eine gewaltige Auswahl an Webcam-Sites, von Wetter- und Panorama-Kameras bis zu solchen, die aus irgendwelchen Privatwohnungen Bilder übertragen – Webcams sind ein eigenes Genre im Internet, teilweise ins Pornographische lappend. Ein Subgenre sind die Taxicams, die entweder nach draußen gerichtet Bilder der jeweiligen Stadt zeigen, oder die Fahrgäste und Gespräche innerhalb des Taxis. Und damit zurück zu den Reality Soaps: Die erste derartige Sendung im deutschsprachigen Raum, Big Brother, war durch eine Website ergänzt, auf der neben Home Stories über die Insassen Liveübertragungen von 10 Kameras aus allen Räumen des Big-Brother-Hauses angeboten wurden, allerdings teilweise kostenpflichtig, wie z.B. die Kameras in den Schlafzimmern. Auch beim österreichischen Pendant „Taxi Orange“ ist die Website ein immens erfolgreicher Teil des Konzeptes, über sie wird sogar die inzwischen abgeschlossene Serie virtuell verlängert, indem die Kandidaten auch nach Ablauf der Serie mit Laptop und Webcam ausgestattet aus ihrem täglichen Leben berichten. Und als perfekte Ergänzung zur Big-Brother-Website wird in Phoenix, Arizona die „Live Jail Cam“ angeboten – der dortige Sheriff ist überzeugt, damit die Kriminalität senken zu können.

www.mtv.com/mtv/tubescan/rw9/index.jhtml

www.svt.se/noje/robinson
www.baren.everyday.coms
www.cl.cam.ac.uk/coffee/coffee.html
www.webcamworld.com
www.webcams.at
www.ny-taxi.com
livetaxi.com
www.bigbrother.de
taxiorange.orf.at
www.crime.com/info/jailcam.html