1998 Studio – Zur Zukunft von Architekturstudium und -beruf

Studio – Zur Zukunft von Architekturstudium und -beruf, Österreichische Gesellschaft für Architektur (ÖGFA), Wien 1998, 70 S. (hg. mit Irene Nierhaus)

Ausschnitt:

Positionen
Robert Temel

Die Texte in diesem Reader haben zwei grundsätzlich verschiedene Quellen: Es sind einerseits Beiträge von Vortragenden und Diskutierenden zu dem Symposion ‹Studio – zur Zukunft von Architekturstudium und -beruf›, das im Mai 1998 stattfand, und andererseits ‹Inserts›, die ergänzende Materialien enthalten. Diese beiden Textsorten zusammen sollen den Band als Arbeitsgrundlage für hochschul- und berufspolitische Tätigkeit sowie als Materialsammlung für Interessierte verwendbar machen.

Die hier versammelten Texte nehmen sehr unterschiedliche, teilweise gegensätzliche Positionen ein, was der Form Symposion durchaus entspricht, jedoch nicht unbedingt der eines Arbeitsbuchs. Diese Heterogenität wollten wir nicht einebnen, sie sollte allerdings eine leichter erkennbare Richtung erhalten durch die Einfügung der Inserts. Natürlich gibt es große Auslassungen: Eine Fortsetzung des Symposions, wie auch von Nasrine Seraji vorgeschlagen, wäre sicherlich wünschenswert, da bisher nur ein erster selektiver Überblick über die Materie gewonnen werden konnte.

Anlaß für das Symposion wie für den Reader waren die neuen gesetzlichen Grundlagen für die österreichischen Universitäten, die entscheidende Veränderungen in der universitären Bildung im allgemeinen und der Architektur[aus]bildung im besonderen zumindest ermöglichen, wenn nicht erfordern. Der erste Schritt in diese Richtung war das Universitäts-Organisationsgesetz (UOG 1993), das den Universitäten mehr Autonomie und damit auch mehr Selbstverantwortlichkeit bringen sollte, es folgte – bedingt durch die politische Entwicklung in einigem zeitlichen Abstand – das Universitäts-Studiengesetz (UniStG 1997), welches vor allem die Autonomie auf Studieninhalte erweiterte und mehr Flexibilität ermöglichen sollte. In diesem Jahr kamen eine Novelle des UniStG sowie das neue Kunstuniversitäts-Organisationsgesetz (KUOG 1998), welche die Neuerungen auf die bisherigen Kunsthochschulen ausdehnten und diese zu Universitäten machten. Weiters wurde das Hochschullehrer-Dienstrecht novelliert, wenn auch noch nicht in einem solchen Ausmaß, wie das wünschenswert wäre, und demnächst wird ein neues HochschülerInnenschaftsgesetz erlassen. Obwohl die Arbeit an der Implementierung und Umsetzung dieser Regelungen gerade erst begonnen hat, steht schon die nächste grundsätzliche Neuerung an: Zusätzlich zu Magister- und Doktorgrad soll nun ein Bakkalaureat eingeführt werden. Man kann also guten Gewissens von einer Umwälzung in der österreichischen Universitätslandschaft sprechen.

Im Hinblick auf diese Änderungen und als Denkanstoß für die anstehende Reformarbeit war das Symposion durchaus erfolgreich:

Irene Nierhaus, Ingeborg Flagge und Benedikt Loderer leisteten aus jeweils unterschiedlichen Blickwinkeln eine Analyse des Architektenberufes und -bildes heute, welche das Spektrum zwischen Gesellschaftsrelevanz und Gesellschaftsdistanz, zwischen Selbstbild und Fremdbild, zwischen Handeln und Reagieren beleuchtete. Warum heute alle Welt die Architekten von Einheit, Nation, Union und was auch immer feiert, während die Architekten von Architektur nicht gerade das beste Bild machen, bleibt zu klären.

Der von Gerhard Schmitt eingebrachte Begriff ‹Informationsarchitektur› erweitert Architektur in den virtuellen Raum in einem Sinne, der nicht mehr nur eine Simulation der Realität ist, sondern der für die neuen Anforderungen der digitalen Informationsfülle neue Umwelten konstruiert. Gerade die Raumbegriffe und -metaphern der Virtualität könnten für eine Analyse der architektonischen Handlungsfelder genützt werden. In diesem Zusammenhang sei auf einen Diskussionsbeitrag des letzten Themenblocks ‹Hochschulpositionen› verwiesen, der für eine Ausweitung der Tätigkeit von Architekten in neue Bereiche nicht nur der Gestaltung plädierte – ob die derzeitige Reduktion der Architektentätigkeiten tatsächlich als sich wiederholende Normalität in der historischen Entwicklung gesehen werden kann, wie dies gleichzeitig postuliert wurde, sei dahingestellt. Ergänzend zum Themenblock ‹Berufsmythen› soll das Insert ‹Die Architektin und die Muse› eine thematische Lücke des Symposions komplettieren.

Bei der Analyse der Studiensituation fiel vor allem das Ungleichgewicht zwischen der großen Anzahl berufstätiger Studierender und der allgemeinen Studienkonzeption als Vollstudium auf. Anhand Lucius Burckhardts Konzeption für die Neugründung der Fakultät für Gestaltung an der Hochschule für Architektur und Bauwesen in Weimar können die langgedienten Konzepte österreichischer Fakultäten überprüft werden. Eine weitere ‹Neugründung› ist das Cities, Architecture and Engineering Programme der London School of Economics and Political Science: Hier soll erklärt werden, warum eine (unter anderem) Social Science-Schule ihr Spektrum mit diesen Studiengängen ergänzt.

Vedran Mimica erläuterte das Konzept des postgradualen Berlage Institute in Amsterdam und Adrian Meyer plädierte, ausgehend von der Situation an der ETH Zürich, für eine Konzentration auf das ‹architektonische Projekt› als Fundament der Architektentätigkeit.

Nach Attila Kosa wäre der erste Schritt beim Übergang in die dynamische Lernkultur die Entwicklung von Curricula für die Hochschulen, sodaß die ständige kritische Revision der Studienpläne und Forschungsprogramme dem System ‹Universität› inhärent ist. Alexander Tzonis schloß an seine Analyse der radikalen Veränderungen im Architektenberuf die Forderung, neue Curricula zu entwickeln, welche von der kulturellen Funktion der Architekten heutzutage ausgehen müßten. Analogien, die er vorschlug, waren die Ausbildung für Filmregisseure und -produzenten in Nordamerika sowie die Universitätsklinik als zwei Beispiele, bei denen einerseits die Komplexität der arbeitsteiligen kulturellen Produktion, andererseits das problemorientierte Lernen in direktem Kontakt mit der zukünftigen Klientel als Orientierungspunkte verwendbar sind. Darauf folgt eine Kurzpräsentation der TU Delft, die vor einigen Jahren die Studien an ihrer Architekturfakultät grundsätzlich umgestaltete, auf Problem-based Learning ausrichtete und damit heute sehr erfolgreich ist. Holger Neuwirth richtete den Blick auf die Architekturbildung in Österreich vom europäischen Standpunkt aus und sprach über die Initiativen und Regelungen, die auf EU-Ebene existieren. Als Ergänzung dazu folgen Auszüge aus der Diplomanerkennungsrichtlinie der EU. Alberto Estévez erläuterte die Konzeption der neu gegründeten Hochschule für Architektur in Barcelona. Vladimir Slapeta berichtete über die Entwicklung der TU Prag seit der samtenen Revolution. Und Sigurd Höllinger, der in diesem Band leider nicht vertreten ist, sprach über die oben bereits erwähnten legistischen Änderungen für die österreichischen Universitäten sowie die damals noch in der politischen Diskussion stehenden neuen Gesetze für die Kunsthochschulen, welche inzwischen beschlossen wurden.

Auch wenn dieses Konzept derzeit von mancher Seite in Frage gestellt wird: Basis einer genuin universitären Architektur[aus]bildung sind Lehre und Forschung:

Die Lehre sollte sich statt am Hör- und Zeichensaal am Laboratorium orientieren. Viele sehr interessante Ansätze für eine derartige Umorientierung sind in diesem Band zu finden. Daß im Themenblock [Aus]bildungsmodelle das ‹aus› in Klammern steht, soll auf die Differenz zwischen universitären und anderen postsekundären Bildungswegen hinweisen: Diplomstudien werden in den gesetzlichen Regelungen als Berufsvorbildung definiert.

Forschung ist in der Architektur (zumindest in Österreich) leider ein Stiefkind. Vielleicht könnte eine verstärkte Ausrichtung darauf helfen, das von Alexander Tzonis angesprochene Problem zu lösen: ‹Architectural education is lagging behind the profession as a place of innovation and experimentation.› – und das war nicht immer so.

Zum Schluß noch eine kurze Anmerkung zu den in diesem Band wiedergegebenen Diskussionen: Aufgrund technischer Probleme konnten die Diskussionsbeiträge nicht wortwörtlich abgedruckt werden, sondern die Gespräche wurden anhand von stichwortartigen Mitschriften rekonstruiert. Das führte dazu, daß die Aussagen der TeilnehmerInnen manchmal ins Stereotype geraten, was allerdings für die Trennschärfe der Positionen durchaus förderlich ist. Ich bitte also, die Treffsicherheit der Beiträge den TeilnehmerInnen zugute zu halten und den gelegentlichen Mangel an Differenziertheit der Aussagen den OrganisatorInnen zuzuschreiben.

November 1998

Layout: Mikki Muhr