1-2/2018 Online Geschichten von der Stadt erzählen
In Wiens größtem Stadterweiterungsgebiet, der Seestadt Aspern, lief im Oktober und November 2017 die erste Staffel eines Erzählexperiments: Die Seestadt-Saga, eine Produktion des Wiener Schauspielhauses, wird als „erste begehbare Social-Media-Serie“ bezeichnet. Über vier Wochen kann man dabei die Erlebnisse einer Reihe von Protagonisten verfolgen: Eine junge Filmstudentin dreht in Aspern für ihr Dokumentarfilmprojekt „Nora and the See“, ein Schauspielerehepaar samt Teenager-Tochter zieht in die Seestadt, ein Student gründet die „Liste Seestadt“, um politisch aktiv zu werden, und ein Versicherungsmakler versucht, Kunden zu gewinnen, obwohl sein Büro wegen eines Wasserschadens unbenützbar ist. Zu den Hauptcharakteren zählen noch ein Bewohner Hirschstettens, der für Laufbewerbe trainiert, und eine Großmutter, die ihr Domizil in Italien verlässt, um ihre Enkeltochter zu besuchen. So weit, so erwartbar für eine Mystery-Serie. Außergewöhnlich sind jedoch die Medien, über die man am Geschehen teilhaben kann. Es handelt sich nicht um eine Fernseh- oder Audioserie, sondern alles, was sich ereignet, wird in den Social-Media-Accounts der Akteure widergespiegelt. Sie besitzen Konten bei Facebook, Twitter und Instagram, wo man ihre Nachrichten verfolgen und mit ihnen kommunizieren kann. Von den dargestellten Personen werden Veranstaltungen angekündigt, bei denen man „in real life“ teilnehmen kann, etwa indem man beim Umzug der Schauspielerfamilie mithilft. Die neue Liste Seestadt hat natürlich nicht nur ein Facebook-Profil, sondern auch eine eigene Website. Zusätzlich findet man auf der Seestadt-Saga-Website den Videoblog der Studentin, auf dem sie die 24 Teilfilme ihres Filmprojekts postet, und die Ereignisse jeder Woche werden in einem etwa zehnminütigen Film zusammengefasst für jene, die unter der Woche nicht mit dabei sein konnten. Die Serie ist also quasi rund um die Uhr live zu besuchen, indem man über verschiedene Kanäle immer wieder einsteigt mithilfe von Texten, Fotos, Videos. Um die Handlung am Laufen zu halten, werden die Inhalte von einem Autorenteam während des Ablaufs kontinuierlich weiterbearbeitet und veröffentlicht. Wie das Schauspielhaus formuliert: „Ein für Außenstehende mitunter skurril anmutender Geist des Aufbruchs umwittert die momentan noch reichlich sterile Modellstadt“, und diesem „gigantischen Wohnexperiment“ Seestadt Aspern wird die Saga gewidmet – indem man den Protagonisten folgt, entsteht ein Bild davon, wie sich im neuen Stadtteil ein Gemeinwesen formieren könnte. Im Frühjahr 2018 folgt die zweite Staffel.