6/2008 Literarische Organismen

Die Visualisierung von Information, vor allem auch von abstrakter Information ist ein altes Thema im Web. Eine Reihe herausragender Bücher dazu verfasste Edward Tufte, der gleichsam der zeitgenössische Guru der Wissensvisualisierung ist. Das kann man konstatieren, obwohl er gegenüber der digitalen Darstellung durchaus Vorbehalte hat, wie seine Abhandlung über die Effekte der Präsentationssoftware Powerpoint zeigt. Eine außergewöhnliche Form der Visualisierung eines literarischen Werkes entwickelte die Künstlerin Stefanie Posavec – leider ist ihre eigene Website nicht aktiv, ihre Arbeit über Jack Kerouacs Beat-Generation-Roman „On the Road“ von 1957 wurde jedoch im Design-Blog Notcot präsentiert. Poasvecs Karten von herausragender visueller Qualität stellen Regelmäßigkeiten und Muster in diesem Roman grafisch dar. Die Visualisierungen basieren auf genauer Analyse der Romanstruktur bis hinunter zur Wortebene, dementsprechend abgenutzt sieht das ebenfalls abgebildete „On the Road“-Arbeitsexemplar der Künstlerin aus. Am Beginn der Arbeit steht eine Kartographie der Textstruktur: Der Roman wird in die Ebenen Abschnitt, Kapitel, Absatz, Satz und Wort geteilt, nach jeder Ebene wird die Anzahl der darunter liegenden Ebenen als Linien gezeigt, sodass sich insgesamt organische, blütenartige Strukturen ergeben. Die Linien sind wiederum auf der Satzebene farbig codiert, wobei jede Farbe ein Thema darstellt, vom Protagonisten Dean Moriarty über Musik, Reisen, Parties, Arbeit bis zu Sex und illegalen Aktivitäten. In einer weiteren Darstellung folgt eine Statistik der Satzlängen, geordnet nach der Wortanzahl und wiederum nach dem gleichen Farbcode strukturiert: Die häufigste Satzlänge im Roman ist fünf Wörter, es gibt aber auch insgesamt zehn Sätze mit mehr als hundert Wörtern, das Maximum liegt bei 197, wobei die längsten Sätze interessanterweise alle mit dem Protagonisten zu tun haben. Überaus eindrucksvoll ist auch die „Wanderkarte“ des Romans, eine verschlungene Strecke, die dadurch entsteht, dass von einem Punkt ausgehend nach jedem Satz eine Rechtsdrehung um 90 Grad vollführt wird – die Linien, die die Sätze repräsentieren, sind dabei je nach Wortanzahl verschieden lang und wiederum farbcodiert. Die grafische Darstellung von „On the road“ ist zwar nachträgliche Analyse, scheint aber gewisse Ähnlichkeiten mit der visuellen Planung von Romanprojekten mancher Autoren zu haben, wie etwa mit den akribischen Konstruktionen Heimito von Doderers oder den geradezu mathematisch fundierten Planungen bei experimentellen Autoren wie Konrad Bayer.

www.notcot.com/archives/2008/04/stefanie_posave.php
www.stefanieposavec.com„Mai.08