12/2019 Google-Geografie

Vor etwa zehn Jahren verschwand von einem Tag auf den anderen eine ganze Stadt in Florida: Sunrise, unweit von Miami und am Rande der Everglades gelegen, existierte plötzlich nicht mehr in Google Maps, das sollte insgesamt mehr als einen Monat dauern, und damit war auch seine reale Existenz zumindest schwer beeinträchtigt – denn natürlich fand man nicht nur die Stadt selbst nicht mehr, sondern auch keine Hotels, keine Lokale, keine Betriebe in Sunrise, womit der Effekt weit über den Kartendienst hinausging. Der Grund war ein „technischer Defekt“, was auch immer das im digitalen Zeitalter bedeutet. Ein ähnliches Schicksal haben auch schon einige Orte erlitten, und für Sunrise war es nicht das erste, sondern das dritte Mal innerhalb weniger Monate. Nun mag es nicht gerade als weltgeschichtlich entscheidend erscheinen, ob eine Stadt von 90.000 Einwohnern im digitalen Raum existiert oder nicht (die Gewerbetreibenden von Sunrise werden das möglicherweise anders sehen). Aber die Frage, welche Orte im digitalen Raum existieren – oder, genauer gesagt, wie sie dort existieren, ist heute von entscheidender Bedeutung. Ein typischer Fall ist das „Japanische Meer“ zwischen Korea, Russland und, natürlich, Japan. Während Japan auf den aktuellen Namen besteht, lehnen ihn die beiden koreanischen Staaten ab und bevorzugen die Bezeichnung „Ostmeer“ (von Japan aus gesehen liegt es natürlich nicht im Osten) oder „Koreanisches Meer“. Googles Lösung für den Streit: In der Karte steht „Sea of Japan (also known as the East Sea)“. Auch der Name des Golfs zwischen dem Iran und Saudi-Arabien ist umstritten, es gibt sowohl den „Persischen“ als auch den „Arabischen Golf“. Einen ähnlichen Streit gab es vor wenigen Jahren um „Palästina“, das laut palästinensischen Journalisten plötzlich nicht mehr in Google Maps aufschien. Google wies die Anschuldigung zurück: Palästina hätte es dort nie gegeben, für das Verschwinden der Bezeichnungen „Westbank“ und „Gaza“ wurde wiederum ein technischer Fehler verantwortlich gemacht. Und natürlich gibt es ähnliche Auseinandersetzungen hinsichtlich der vielen Grenzstreitigkeiten weltweit: Wie kann man einen weltweiten Kartendienst anbieten, ohne irgendjemanden zu verärgern? So gab es bereits Streit um die Darstellung der Grenzen zwischen China und Indien und zwischen Thailand und Kambodscha, und 2010 hätte ein Fehler des Grenzverlaufs zwischen Nicaragua und Costa Rica in Google Maps fast zum Krieg geführt, nachdem nicaraguanische Truppen versuchten, das digital gewonnene Land auch real in Anspruch zu nehmen.