1-2/2003 digitalBIEDERMEIER – Privatheit im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit

Dass die alten Kategorien „privat“ und „öffentlich“ heute nicht mehr so einfach funktionieren wie zu Beginn des bürgerlichen Zeitalters, ist inzwischen Allgemeingut geworden. Während in der Antike die Opposition öffentlich-privat noch die politische von der ökonomischen Sphäre trennte, war das in der Neuzeit nicht mehr so einfach: Die Erwerbsarbeit wurde von der Hausarbeit getrennt und öffentlich, umgekehrt gelangten öffentliche Repräsentationsaufgaben in den Privatbereich, und dieser wurde weiter „privatisiert“ durch die Herausbildung der so genannten „Privatsphäre“, die es davor für die Mitglieder eines Haushaltes untereinander nicht gab. Heute sind die Pole der Opposition längst so miteinander durchmischt, dass eine Trennung nicht mehr möglich ist. Heutige Themen bei der Diskussion über öffentlich und privat sind geänderte soziologische, politische und ökonomische Rahmenbedingungen, aber auch technologische Entwicklungen, und da insbesondere neue Informations- und Kommunikationstechnologien vom Mobiltelefon bis zum Internet. Ende November fand im Wiener WUK die Veranstaltung digitalBIEDERMEIER statt, die neben einem wissenschaftlichen Symposion Filmprogramm, Salon und Musikprogramm zur Beschäftigung mit dem Thema anbot. Das Thema dieser Veranstaltung waren die Effekte, die neue Medien und insbesondere das Internet auf Privatheit und Öffentlichkeit ausüben. Einerseits wird das Individuum immer besser kontrollierbar und überwachbar auf eine Weise, die eine Datenschutzdiskussion, wie es sie in den 80er Jahren gab, heute fast obsolet erscheinen lässt. Andererseits eröffnen dieselben Technologien dem Einzelnen Gestaltungsmöglichkeiten von selbstbestimmten öffentlichen und privaten Räumen, die zuvor nicht da waren. Der Titel weist dabei auch auf die Entstehung einer neuen kleinbürgerlichen Kultur im Web hin, die auf die frühen, „revolutionären“ Ansätze folgte. Eine These ist, dass die Erosion von Öffentlichkeit und Privatheit nicht durch die Technik an sich determiniert ist, sondern Technik sowohl Emanzipation als auch Überwachung ermöglicht, es kommt darauf an, wer welche Möglichkeiten hat, diese Technik auf welche Art und Weise einzusetzen. Internetportale, vernetzte Spielwelten, elektronische Überwachungssysteme, Kommunikationstechnik und Liebe, Communities und Weblogs sind Fälle, die im Rahmen von digitalBIEDERMEIER untersucht wurden, im begleitenden Filmprogramm gab es die Bilderthesen zum Untersuchungsgegenstand, ein Überblick über Vortragende und Themen findet sich im Web.

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