9/2006 Die Bibliothek der Zukunft

2003 beginnt Amazon, mittels der so genannten „Search inside the Book“-Funktion die Inhalte von Büchern teilweise digital zugänglich zu machen. Ein Jahr später startet Google mit seiner Book Search, vormals Google Print, und wiederum ein Jahr später publiziert der zum Internet-Goliath mutierte einstmalige David sein Library Project: In diesem Rahmen sollen bis 2015 15 Millionen Bände aus den Universitätsbibliotheken Stanford, Michigan, Harvard – und Oxford als einzige europäische – sowie der New York Public Library vollständig digitalisiert werden, erst kürzlich wurde die University of California in diese Runde aufgenommen. Ebenso startete kürzlich die Library of Congress ihr neues Projekt World Digital Library, das von Google unterstützt wird – die Kongressbibliothek legt Wert darauf, ein Archiv globaler Kulturen zu produzieren, und stellt fest, dass mehr als die Hälfte ihrer Bände in anderen Sprachen als Englisch geschrieben sind. Der Grund dafür ist wohl die massive Ablehnung aus Europa, die der Ankündigung von Googles Projekt folgte. Neben vielen anderen meinte Jean-Noël Jeanneney, der Direktor der französischen Nationalbibliothek, dass das Projekt sich zu stark auf die amerikanische Kultur konzentrieren würde und somit das Erbe vieler anderer Kulturen zu kurz käme. Die Reaktion war das Gegenprojekt i2010 für eine europäische digitale Bibliothek, das 4,5 Milliarden Seiten digitalisieren will (das sind bei im Schnitt 300 Seiten ebenfalls 15 Millionen Bände) und an dem derzeit 19 europäische Nationalbibliotheken beteiligt sind. Dementsprechend wurden mittlerweile viele europäische Förderprogramme im Hinblick auf die neue Initiative adaptiert, von Kultur 2007 über das Siebente Rahmenprogramm bis zu eContentplus, um entsprechend große Mittel für die gemeinsame Anstrengung freizumachen. Googles Projekt soll 150 bis 200 Millionen USD kosten. Interessant Hier war offensichtlich ökonomischer Druck nötig, um relevante Budgets für ein Kulturthema in der Europäischen Union freizumachen. Doch die Europäer sind nicht Googles größtes Problem. Viel schwieriger sind die offenen urheberrechtlichen Fragen, die im Zentrum einer Reihe von Gerichtsverfahren stehen, unter anderem mit der US-amerikanischen Authors Guild. Obwohl das Google Library Project nur einige Sätze rund um einen Suchbegriff darstellt und weder eine ganze Buchseite noch überhaupt ganze Bücher, außer es besteht kein urheberrechtlicher Schutz mehr, sieht die Authors Guild das als Verstoß gegen das Urheberrecht und nicht als fair use, das heißt als erlaubtes Zitat. Und wie auch immer man zum Google-Projekt stehen mag: die Parallelität der zunehmenden technischen und der gleichzeitig abnehmenden rechtlichen Möglichkeiten, vorhandene Information zu nützen, kann schwerlich begrüßt werden.

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