1996 Abschied vom Klavierlehrerprinzip

„Abschied vom Klavierlehrerprinzip“, in: Zur Sache Kunsthochschulen. Zeitschrift für Kunst- und Kulturpolitik, März 1996, S. 50–53.

Ausschnitt S. 50:

Abschied vom Klavierlehrerprinzip

Nicht nur die Baßtubaspieler wissen, was sie von ihrem Studium wollen und welche gesetzlichen Änderungen etwa für ein fächerverknüpfendes Projektstudium nötig wären. Die Reformarbeitsgruppe mit VertreterInnen aller Kunststudierenden Österreichs hat entsprechende Grundlagen erarbeitet. — Umgesetzt werden müßten sie freilich von allen Beteiligten, Mittelbau und Professoren inklusive. Und da heißt es wieder: Wer fürchtet sich vor der Reform?

Mitte Jänner 1996 lief die Begutachtungsfrist zum Entwurf des brandneuen Universitäts-Studiengesetzes (UniStG) ab, und ein breites Spektrum an Stellungnahmen dazu wurde erkennbar: Von der beinahe völligen Ablehnung über breite Kritik vor allem an der Reduktion der Studiendauer im sogenannten „kulturwissenschaftlichen“ Bereich auf sechs Semester (womit das österreichische Magisterium nicht mehr einem europäischen Diplomstudium vergleichbar wäre) bis zur Idee, auch die Kunsthochschulen in dieses Gesetz aufzunehmen (um eine Durchlässigkeit zu den Universitäten zu ermöglichen), war bereits alles zu hören. Und damit stellt sich wieder einmal die Frage nach der Kunsthochschulreform, nachdem der letzte Versuch in diese Richtung, der vor einigen Jahren an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien stattfand, in den Tiefen diverser Schreibtischschubladen verendete. Derzeit sind die Kunststudien in Österreich durch das Kunsthochschul-Studiengesetz (KHStG) 1983 gesetzlich geregelt. Der Rückblick auf die Situation bei der Ausarbeitung des Gesetzes zeigt, daß der ursprüngliche Entwurf durch Änderungswünsche verschiedener Interessengruppen stark modifiziert wurde. So verlangten zum Beispiel die Baßtubaspieler genauso wie alle anderen Instrumentalstudien 16 Semester Mindeststudiendauer, um nicht „weniger wert“ zu sein, oder die Kunsthochschul-Architekten sträubten sich dagegen, ins KHStG aufgenommen zu werden, da sie eine Schlechterstellung bei der Ziviltechnikerprüfung im Vergleich zu den TU-Architekten befürchteten. Die VertreterInnen der Studierenden müssen nun Bündnisse schließen, um als Lobby im Kampf um ein neues Gesetz überhaupt wahrgenommen zu werden. Seit 1995 besteht also eine Reformarbeitsgruppe, die aus VertreterInnen der Hochschülerschaften aller sechs österreichischen Kunsthochschulen zusammengesetzt ist: Hochschulen für Musik und darstellende Kunst in Wien, Graz und Salzburg, Hochschule für künstlerische und industrielle Gestaltung in Linz, Hochschule für angewandte Kunst in Wien, Akademie der bildenden Künste in Wien. Die Arbeitsgruppe ist eine Vertretung aller Kunststudierenden Österreichs in dieser Sache, ein Zusammenschluß, der auf den Ebenen von Professorenschaft und Mittelbau nie erreicht wurde — aber auch diese schlafen nicht. Also: Die Positionen sind bezogen, es kann losgehen. Zuerst sticht ins Auge, daß vom Gesetz der Begriff „Kunsthochschulen“ für etwas verwendet wird, was man gemeinhin als Musik- und Kunsthochschulen zu trennen gewohnt ist. Das KHStG 1983 ist stark am Musikstudium orientiert und übertrug teilweise dessen Prinzipien aufs Kunststudium — der Begriff „künstlerischer Einzelunterricht“ kann seine Herkunft vom Klavierlehrerprinzip kaum verleugnen. Eine Verbindung von Kunst- und Musikhochschulen, die aufgrund thematisch überschneidender Angebote durchaus eine wechselseitige Bereicherung darstellen kann, darf jedoch nicht undifferenziert Eigenarten der jeweiligen Hochschule übergehen. Ein weiterer grundsätzlicher Punkt ist, daß es nicht allein mit einem neuen KHStG getan ist: Ebenso reformbedürftig sind das Hochschülerschaftsgesetz (HSG) sowie das Kunsthochschul-Organisationsgesetz (KHOG) und das Akademie-Organisationsgesetz (AOG), nicht zu vergessen das Beamtendienstrecht, denn die Abschaffung der Pragmatisierung (Unkündbarkeit der Beamten) ist eine der wichtigsten Grundlagen überhaupt für eine Verbesserung der Situation: Schließlich hat die Aussicht auf eine dreißigjährige Laufbahn als Hochschulprofessor, die man sich durch fast keinen Blödsinn verbauen kann außer vielleicht Mord oder freiwilligen Rücktritt, bereits viele enthusiastische Gastprofessoren unweigerlich in die Arme der süßen, alles betäubenden Lethargie getrieben. Die Pragmatisierung mag ihre Bedeutung gehabt haben zu Zeiten Josefs II., als man Beamte vor der Macht der Aristokratie schützen mußte, aber vor wem soll man heute Kunsthochschulprofessoren schützen als vor einer/m selbst?