Wiener Wohnbau 2008, Wohnbaustadtrat Michael Ludwig im Gespräch

„Wiener Wohnbau 2008“, „Wohnbaustadtrat Michael Ludwig im Gespräch mit Robert Temel. Keine Wohnung von der Stange“, in: UmBau 24 – Strategien der Transparenz. Zwischen Emanzipation und Kontrolle, Wien 2009, S. 12–20

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Ausschnitt S. 12–14:

Wiener Wohnbau 2008

Wiener Wohnbauten, die Wohnbauförderung erhalten, egal ob sie durch private oder genossenschaftliche Bauträger errichtet sind, werden entweder im Rahmen eines Bauträgerwettbewerbes oder durch den Grundstücksbeirat begutachtet.

Bauträgerwettbewerbe werden für Projekte ab etwa 200 Wohnungen vom Wohnfonds Wien durchgeführt. Dazu reichen Bauträger zusammen mit ArchitektInnen ihre Projekte ein, die in wirtschaftlicher, ökologischer und architektonischer Hinsicht von einer Jury begutachtet werden, deren Zusammensetzung kaum variiert. Diese Vorgangsweise führt zu sehr genau ausgearbeiteten Projekten, legt aber die Schwelle für die Teilnahme auch entsprechend hoch. Insbesondere ArchitektInnen, die nur wenig Wohnbauerfahrung besitzen, können kaum teilnehmen, weil sie von den Bauträgern nicht als PartnerInnen ausgewählt werden. Das führt dazu, dass einige wenige WohnbauarchitektInnen und -bauträger immer wieder zum Zug kommen. Ein weiteres Problem dieser Begutachtungsmethode: Sanktionen für Abweichungen vom prämierten Projekt erfolgten bisher nicht, sodass man bei etlichen Projekten gravierende Differenzen zwischen der architektonischen Qualität des Wettbewerbsprojektes und des ausgeführten Projektes feststellen kann. Der Grundstücksbeirat des Wohnfonds beurteilt diejenigen Projekte, die Wohnbauförderung beanspruchen und auf nicht vom Wohnfonds erworbenen Grundstücken errichtet werden. Die Kriterien sind prinzipiell vergleichbar, auch die Jury ist teils identisch mit der der Bauträgerwettbewerbe. Frei finanzierte Wohnbauten in Wien unterliegen demnach keiner Qualitätskontrolle durch einen Gestaltungsbeirat oder ein ähnliches Instrument, wenn sie nicht von so großer stadträumlicher Bedeutung sind, dass sie dem Fachbeirat für Stadtplanung und Stadtgestaltung vorgelegt werden.

Die Basis der Wiener Wohnbauförderung ist die Maximierung der Wohnnutzfläche – verständlich aus der Situation am Beginn der Zweiten Republik, als die Beendigung der Wohnungsnot oberstes Ziel war. Der Bauträgerwettbewerb ist auch ein Versuch, dem andere Kriterien zur Seite zu stellen. In mancher Hinsicht gelingt das jedoch kaum: Die Wohnflächenmaximierung bedeutet, dass die für funktionierende Stadträume so wichtige Nutzungsmischung kaum eine Chance hat, dass Gebäude nicht nutzungsneutral errichtet werden, dass wohnungsbezogene ebenso wie öffentliche Freiräume nicht im Zentrum des Interesses stehen und die wichtige Schnittstelle zwischen öffentlichem Raum und Wohnhaus, die Erdgeschoßzone, vernachlässigt wird. Gerade in jüngster Zeit sind allerdings Anzeichen erkennbar, dass den Verantwortlichen die Bedeutung dieser Aspekte durchaus bewusst ist. Ähnlich große Aufgaben bestehen im Bereich des Klimaschutzes, dort wurde allerdings in jüngster Zeit viel getan. Der Umfang des zu Leistenden hat zur Folge, dass technokratische, leicht zu administrierende Methoden gewählt werden: So ist das Mittel der Wahl die Bauphysik, die Wärmedämmung des Gebäudeumfangs, und die vielen anderen Maßnahmen, die gleichfalls zur Reduktion des Energieverbrauchs beitragen könnten (Städtebau, Verkehrsplanung, Nutzungsmischung, Gestaltung der Freiräume, Baukörpergliederung, Klimazonen in Gebäuden, passive Sonnenenergienutzung, Flächenoptimierung, usw.), werden vernachlässigt.

Der „soziale Wohnbau“ in Wien ist längst nicht mehr auf einkommensschwache Schichten ausgerichtet: Neben 220.000 Gemeindewohnungen gibt es in Wien mittlerweile etwa 300.000 andere Wohnungen, die mit Wohnbauförderungsmitteln errichtet wurden, das heißt etwa sechzig Prozent der Wiener Bevölkerung profitiert direkt von der Wohnbauförderung. Die zentrale Zielgruppe ist somit die Mittelschicht, Einkommensschwache werden da eher mitbedacht, als dass sie im Zentrum des Interesses stünden. Das ist verständlich und in mancher Hinsicht auch sinnvoll, um soziale Segregation zu vermeiden. Es bedeutet aber auch, dass die Standards des sozialen Wohnbaus so hoch liegen, dass die Wohnungen für viele unerschwinglich sind. Der Einstiegs-Wohnungsmarkt für viele Zuwanderer beschränkt sich demnach oft auf Substandardwohnungen westlich des Gürtels (es gibt nach wie vor mehr als 45.000 Wohnungen ohne Bad und WC).

Aufgrund des erwarteten Bevölkerungswachstums in Wien während der nächsten Jahrzehnte, das zum überwiegenden Teil durch Immigration entsteht, sind Fragen der Integration und der Segregation zentral für den Wiener Wohnbau. Die Wohnbaupolitik beschränkt sich diesbezüglich bisher einerseits auf die Mischung von geförderten und freifinanzierten Wohnungen im selben Gebäude und andererseits auf eine Handvoll Pilotprojekte des „interkulturellen Wohnens“. Auch als Reaktion auf die Stadtflucht startete Wien vor einigen Jahren ein Wohnbauprogramm unter dem Titel „Neue Siedlerbewegung“ bzw. „Wohnen im Grünen“; das durch ein attraktives Angebot an wohnungsbezogenen Freiräumen glänzen – die Vorteile gegenüber dem Einfamilienhaus im Speckgürtel sind jedoch eher graduell als grundsätzlich: Hier wie dort findet man geringe Dichte, Erschließung durch Pkw statt hochrangigen öffentlichen Verkehr, Zersiedlung von Grünland und die Notwendigkeit, viel teure Infrastruktur für relativ wenige Wohnungen bereitzustellen. Das positive Gegenbeispiel sind die Gemeindebauten der Zwischenkriegszeit und der ersten Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg. Damals war noch die Kombination von dichtem Geschoßwohnbau mit großzügigen Grünräumen auch im innerstädtischen Kontext möglich, heute wird meist extrem dicht und ohne viel Augenmerk für den Freiraum gebaut. Damit hängt auch die Konzentration auf den großen Maßstab zusammen: große Baulose, große Bauträger, große Bauunternehmen. Stadtrat Ludwigs Andeutung hinsichtlich kleinteiligerer Planung könnte hier ein Hoffnungsschimmer sein, bessere Planung und mehr Vielfalt zu erreichen – was gerade auch deshalb interessant ist, weil eine solche Ausrichtung Baugruppenprojekten zugute käme. Wien besitzt eine große Tradition des partizipativen Wohnbaus, die aber mittlerweile fast zum Erliegen gekommen ist. Partizipation in einem umfassenderen Sinne findet stets in Form von Pilotprojekten statt, eine Kultur der Partizipation, wie es sie in Städten wie Hamburg oder Tübingen gibt, konnte in Wien nie erreicht werden. Dem entsprechend muss man leider feststellen, dass – trotz der fraglos hohen Qualität des Wiener sozialen Wohnbaus – innovative Projekte oft trotz, nicht wegen der städtischen Wohnbaupolitik entstanden sind. Ein aktuelles Versuchsfeld, an dem sich zeigen könnte, dass dieser Befund heute nicht mehr stimmt, ist das Flugfeld Aspern. Man darf gespannt sein.