1-2/2019 Was haben diese Straßen schon gesehen?

Stadt und Architektur sind nicht nur materieller, sondern auch sozialer Raum. Dazu zählt die politische Aneignung des Raums, etwa durch Demonstrationen, die politische Standpunkte und, vor allem, politische Gegenstandpunkte im Stadtraum manifest machen, dafür durch „Zweckentfremdung“ von Verkehrsflächen Aufmerksamkeit erzeugen und mithilfe der kollektiven Aktion Identifikation mit dem gemeinsamen Anliegen schaffen. Versammlungsfreiheit im öffentlichen Raum ist ein demokratisches Grundrecht – trotzdem mehren sich in jüngster Zeit wieder Stimmen, die dieses Grundrecht einschränken wollen, etwa durch Ausweisung von Demonstrationszonen, die die Wirkung von Demonstrationen minimieren sollen. Der Stadtraum wird nicht allein durch die Menschenmenge und ihre Bewegung in bestimmten Formationen und in bestimmte Richtungen „geformt“, sondern auch durch Transparente, Plakate, Sprechchöre, Musik, Licht, Fahrzeuge und vieles mehr. Die Organisationstypen der Demos veränderte sich im Lauf der Zeit massiv, von den eher spontanen, erst vor Ort fertig entwickelten Formen in der Ersten Republik über die top-down-organisierten der frühen Zweiten Republik und die neuen Formen der politischen Selbstorganisation danach bis zur Kommunikation via Social Media heute. Das Projekt „Was haben diese Plätze schon gesehen?“ von MVD Austria und dem Institut für jüdische Geschichte Österreichs mit Unterstützung des future.lab und Displaced. Space for Change der TU Wien befasste sich 2018 mit der Geschichte der Demonstration in Wien während der letzten hundert Jahre. Auf einer Online-Karte im Rahmen des Wien-Geschichte-Wiki sind die Orte, Zeiten, Themen und Veranstalter von Demonstrationen zwischen 1918 und 2018 repräsentiert, ebenso wie ihr friedlicher oder gewalttätiger Verlauf. Über Textfilter und Filter-Slider können bestimmte Typen ausgewählt werden, es zeigen sich räumliche Schwerpunkte – Rathaus, Parlament, Heldenplatz, Schwarzenbergplatz, Richtung Peripherie nimmt die Zahl massiv ab. Quelle der Darstellung sind die Nennungen von Demonstrationen in der Wiener Zeitung während dieser hundert Jahre. Zusätzlich zur Karte gibt es eine Facebook-Page, auf der regelmäßig Rückerinnerungen an Demonstrationen in der Vergangenheit gepostet werden. Während der Projektlaufzeit wurden in einer Reihe von Workshops theoretische und praktische Aspekte des Themas diskutiert und entwickelt.

www.plaetze.at

www.geschichtewiki.wien.gv.at/Karte_der_Demonstrationen_1918_-_2018