12/2001 Virtual Office

Wenn man über Veränderungen in der Arbeitswelt im Kontext der Internet-Revolution spricht, wird beinahe schon notgedrungen ein inzwischen historisches Beispiel herangezogen: 1994 richtete die Werbeagentur Chiat/Day zwei neue Büros ein, eines in Venice/Los Angeles von Frank Gehry und Claes Oldenburg gestaltet, und eines in New York, designt von Gaetano Pesce – beide waren ein gewagtes Experiment von Firmengründer Jay Chiat in Büroorganisation, und dieses scheiterte. Der damals verwendete Begriff war „Virtual Office“, bestehend aus zwei Elementen: einer architektonischen Superstruktur und einer technologischen Infrastruktur. Das New Yorker Büro in einem Hochhaus unweit des World Trade Center war auf den ersten Blick vor allem bunt und verspielt, und es bot deutlich weniger Angestellten Platz, als Chiat/Day damals in New York beschäftigten. Gleich nach dem Eingang kam der so genannte Store, in dem die morgens eintreffenden Mitarbeiter ihre (nicht persönlich zugeordneten) Mobiltelefone und Powerbooks abholen konnten, um sich an einen beliebigen, gerade freien Arbeitsplatz zu setzen. Diese Arbeitsplätze gehörten niemandem Bestimmten, aber sie boten die Möglichkeit, sich mit dem gerade abgeholten Powerbook ins Firmennetz zu hängen und so Zugang zu allen für die Arbeit nötigen Daten zu erlangen. Die Grundidee war, dass die Mitarbeiter mithilfe der neuen Technik, nämlich mit den mobilen Computern und der Telekommunikation in Form von Internet und Mobiltelefonie, von jedem beliebigen Ort aus arbeiten konnten, und dass sie deshalb nur an wenigen Tagen in der Woche das zentrale Büro aufsuchen müssten, sodass dort im Schnitt auf deutlich weniger teurer Fläche dieselbe Arbeit geleistet werden konnte. Die Web-Bibel Wired fasste das Ergebnis vor zwei Jahren folgendermaßen zusammen: „It was a bold experiment in creating the office of the future. There were no offices, no desks, no personal equipment. And no survivors.” 1999 wurden die 5 Jahre alten Versuchsstationen schließlich zugunsten guter, alter, konservativer Büros wieder verlassen. Die Werbeagentur, die 10 Jahre zuvor mit einer während der Super-Bowl-Fernsehausstrahlung gesendeten Orwell-Paraphrase für den Apple Macintosh warb und dadurch berühmt wurde, eröffnete 1994 ihren Mitarbeitern, sie würden zwar weiterhin Privatraum im Büro haben, es wäre aber nun kein persönlicher Raum mehr. Das Modell war der Campus, ein Ort, an dem man Vorlesungen besucht, Informationen sammelt, aber keinen eigenen Arbeitsplatz besitzt: Man tut seine Arbeit wo immer man eine ruhige Stelle dafür findet. Jay Chiat verteilte also Sofas und Tische, bot einen zentralen Versammlungssaal und viele große Konferenzräume sowie Brainstorming-Zellen für zwei, die aus alten Autodrom-Gefährten konstruiert waren, und das einzige, was jedem als sein persönlicher Bereich blieb, war ein kleines, fahrbares Kästchen für Unterlagen und Familienfotos. Aber schon bald starteten die Kämpfe um freie Plätze, manche versuchten, ihren Lieblingsbereich zu reservieren, und die Besprechungen, die stattfanden, wo gerade Platz war, machten jede andere konzentrierte Arbeit unmöglich. Und auch außerhalb des Büros, zu Hause und im Park, wo die Angestellten eine guten Teil ihrer Arbeit erledigen sollten, wurde nicht viel getan. Leute, mit denen man dringend etwas besprechen musste, waren einfach nicht auffindbar, egal ob sie im 3000-m2-Büro anwesend waren oder nicht. Und obwohl (oder weil) Jay Chiat als Büronutzungs-Polizist unterwegs war und jeden verjagte, der sich zwei Tage lang am selben Platz aufhielt, war das Experiment nach einigen Jahren schließlich zum scheitern verurteilt und Chiat/Day, mittlerweile fusioniert mit TBWA, bezogen wieder ein gewöhnliches, nicht-virtuelles Standardbüro mit amerikanischen „Cubicles“ und Pinwänden für Fotos und Postkarten.