3/2020 Sprachenräume

Ein Effekt des Internet, der sich räumlich auswirkt, ist die Vereinheitlichung von Sprache. Das ist natürlich kein neues Phänomen, Ähnliches konnte man zuvor bereits durch zunehmende Mobilität und durch Kino, Radio und Fernsehen beobachten. Doch YouTube und Co. bringen eine neue Dynamik in den Trend zur Einheitssprache. Natürlich gibt es nach wie vor differenzierbare Sprachräume, die jeweils ihren eigenen Klang und ihr Vokabular besitzen, sodass sie von geübten Hörern erkannt werden können – doch diese Unterschiede werden nach und nach geringer. Dies gilt im Deutschen nicht nur für Österreich (und die Schweiz), sondern auch für den Osten und Norden Deutschlands. Bereits in den 1970er Jahren wurden diese Differenzen im Vokabular von dem Linguisten Jürgen Eichhoff von der Universität Wisconsin untersucht und in einem Atlas in Sprachkarten dargestellt, die schließlich insgesamt vier Bände füllten. Durch die Bearbeitung des Themas von den USA aus war es damals auch möglich, die DDR in die Forschung einzubeziehen. Seit 2003 arbeiten Forscher der Universitäten Salzburg und Liège an einem neuen „Atlas zur deutschen Alltagssprache“, der an Eichhoffs Forschungen anschließt, die heutige Vielfalt des Deutschen erfassen und die Veränderungen seit den 1970er Jahren darstellen soll. Die Erhebungen funktionieren nun mittels Online-Umfragen, aktuell ist der Fragebogen zur zwölften Runde offen, in ihm kann eine Reihe von Fragen vom Fahrrad bis zur Dusche beantwortet werden. Angeboten bekommt man stets mehrere Formulierungs- bzw. Aussprachevarianten, zwischen denen man wählt, zusätzlich gibt es eine Freitextfeld, um bisher nicht bekannte Formen eingeben zu können. Die Darstellung der Resultate erfolgt wieder in Sprachkarten des deutschen Sprachraums. Ein schönes Beispiel für die erhobenen Differenzen ist etwa die Karte zu „5.45 Uhr“: Üblichen Formulierungen sind viertel vor sechs, drei viertel sechs und, geringer verbreitet, viertel auf sechs, die Demarkationslinie liegt bei diesem Begriff zwischen Westen und Osten, nicht zwischen Norden und Süden. Beim Vergleich zwischen damals und heute macht sich eine Entwicklung bemerkbar, die die Forscher als „Leveling“ bezeichnen, nämlich dass kleinräumig verbreitete Varianten durch großräumiger bekannte verdrängt werden. Das funktioniert im ganzen Sprachraum so, ist aber in Österreich noch etwas geringer ausgeprägt als in Deutschland – und in der Schweiz noch wesentlich weniger. Aus welchem Grund auch immer: Die Schweiz ist sprachlich viel autonomer und selbstbewusster als Österreich.

www.atlas-alltagssprache.de