10/2016 Linien durch die Stadt

Nicht in jeder Stadt ist die Geschichte des Straßenbahnnetzes so dramatisch wie in der – heutigen – Autostadt Los Angeles, die Anfang des 20. Jahrhunderts eines der dichtesten Straßenbahnnetze der Welt besaß, es dann aber nach und nach abbaute, bevor in den 1960er Jahren die letzte Linie eingestellt wurde. Mittlerweile gibt es wieder ein völlig neu aufgebautes, aber vergleichsweise kleines und von wenigen genutztes Netz: Allein die Straßenbahnen Wiens, das nur einen Bruchteil der Bevölkerungszahl von Los Angeles besitzt, werden jährlich etwa doppelt so oft benützt. Die Geschichte der Wiener Straßenbahn ist vergleichsweise unspektakulär, doch auch hier hat sich viel geändert im Auf und Ab der Bevölkerungszahlen, vor allem aber seit die Straßenbahnen nach und nach durch die effizientere U-Bahn abgelöst wurden. Zur Zeit seiner größten Ausdehnung umfasste das Wiener Netz 318 Kilometer, heute sind es noch etwa 180 Kilometer – das ist immerhin noch das fünftgrößte Netz der Welt. Derzeit fahren in Wien 29 Linien, im Lauf der Zeit gab es insgesamt 38 weitere. Die Website „Zeitlinien“ des Entwicklers Patrick Cipot macht genau diese Geschichte visuell erfahrbar: Sie besteht aus einem Stadtplan und einem Chronologie-Slider von 1865 bis heute. Wenn man den Slider durch die Zeit bewegt, sieht man das im jeweiligen Jahr bestehende Netz grafisch dargestellt, gleichzeitig werden die jeweiligen Betreiber gezeigt. Die erste Linie war die Pferdetramway vom Schottentor bis nach Dornbach (heute Linie 43). Nach und nach kamen neue Betreibergesellschaften und Linien dazu, 1899 etwa die Stadtbahn, kurz nachdem die Stadt mit der Kommunalisierung der zuvor privaten und konkurrierenden Straßenbahnbetriebe begonnen hatte. Bis 1930 erreichte das Netz seine maximale Ausdehnung. Ab 1977 kam die U-Bahn, mittlerweile werden auch wieder Straßenbahnlinien verlängert. Eine weitere, ergänzende Darstellung liefert Cipot 2016 mit der so genannten „Wahllinie“: Entlang aller Wiener Bus-, Straßenbahn- und U-Bahnlinien stellt das Tool dar, wie die angrenzenden Wahlsprengel bei den (bisher zwei) Wahlgängen der österreichischen Bundespräsidentenwahl wählten. In einer Datenbank werden offene Daten der Wiener Linien sowie der Wahlsprengel in Wien verknüpft. So ergeben sich überaus aufschlussreiche, vielgestaltige Querschnitte durch den Stadtkörper. Wo bestehen welche politischen Präferenzen, wie ändert sich das Wahlverhalten vom ersten Durchgang zur Stichwahl?

www.zeitlinie.at
wahl.zeitlinie.at