12/2006 Bloggers’ History

Der National Trust ist eine gemeinnützige Organisation zum Schutz von Gebäuden und Landschaften in England, Wales und Nordirland, quasi die Verknüpfung von Kultur- und Naturdenkmälern. Der Trust besitzt eine große Zahl von Gebäuden und Landschaften und macht sie der Öffentlichkeit zugänglich, und diese Gebäude enthalten wiederum eine Reihe von Sammlungen, die sich zu insgesamt mehr als einer Million Objekten addieren – doch im heurigen Jahr startete der National Trust zusammen mit anderen Institutionen wie English Heritage völlig andere, besondere Sammlungsinitiative, nämlich „One Day in History“. Dabei wurde in großem Maßstab eine in Archiven übliche Sammlungsstrategie angewandt, nämlich der breite Querschnitt über einen Tag, der das regelmäßige Aufbewahren schmalerer Bestände ergänzen soll. Möglichst viele Briten sollten nun darüber schreiben, was sie an einem bestimmten Tag erlebt (oder eben nicht erlebt) haben, um so ein möglichst umfassendes Bild vom Alltag zu Beginn des 21. Jahrhunderts zu erlauben. Als der „eine Tag in der Geschichte“ wurde der 17. Oktober 2006 ausgewählt. Jeder konnte auf der Projektwebsite einen „Tagebucheintrag“ von maximal 650 Worten liefern, der zusammen mit Autorenname und Region dort veröffentlicht wurde. Mehrere 10.000 Menschen nahmen teil und beschrieben ihren Tagesablauf. Die Sammlung wird schließlich, nach Abschluss der Erhebung, auch im Archiv der British Library aufbewahrt. Vorbild für das Erhebungsprojekt ist ein Archiv der Universität Sussex, das Material der Sozialforschungsorganisation Mass-Observation sammelt. Diese beobachtete von 1937 bis in die 50er Jahre hinein entsprechend dem Konzept einer „Anthropologie von uns selbst“ den britischen Alltag. Bei dem damaligen Alltagskulturprojekt waren jedoch professionelle Sozialforscher die Erhebenden, die in öffentlichen Versammlungen Alltagsverhalten und Konversationen dokumentierten. Zusätzlich gab es ein Panel von 500 Tagebuchschreibern und Personen, die – ähnlich dem aktuellen Projekt – einzelne Tage ihres Lebens dokumentierten und Fragebögen zum Alltagsleben beantworteten. Dem gegenüber basiert „One Day in History“ ausschließlich auf den via Web gelieferten Beiträgen der Leute selbst, ohne ein Dazwischenschalten professioneller Beobachter – eine Vorgangsweise, die erst durch die neuen Technologien in diesem Ausmaß möglich wird. Ob diese Möglichkeiten auch entsprechend brauchbares Material für historische und ethnographische Forschung liefern können, wird sich zeigen.

www.historymatters.org.uk/output/page96.asp
www.massobs.org.uk
www.nationaltrust.org.uk