1996
Diskussionsforum zur Kunsthochschulreform
Diskussionsforum zur Kunsthochschulreform, Hochschule für angewandte Kunst, Wien 1996, 38 S.
Diskussionsforum zur Kunsthochschulreform am 2.Mai 1996 in der Aula der Hochschule für angewandte Kunst in Wien, veranstaltet von der HochschülerInnenschaft an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien
Thema: Ziele der Kunsthochschulstudien, Aufgaben von Kunsthochschulen
Podiumsgäste: Ada Pellert, Friedrich Faulhammer, Stella Rollig, Wim van Zutphen, Renate Goebl, Moderation: Hazel Rosenstrauch
Ausschnitt S. 36–38:
Schlußbemerkung
Um am Ende doch noch auf die konkrete Reform zu sprechen zu kommen, möchte ich hier ein paar der in der Diskussion aufgetauchten Ansatzpunkte zusammenfassen. Es kamen folgende Forderungen an die Kunsthochschulen zur Sprache:
- Die Notwendigkeit von sowohl Gesellschaftsdistanz als auch Gesellschaftsrelevanz, das heißt auf der einen Seite Praxisnähe, Orientierung nicht an Berufen, sondern an Berufsfeldern, etc. Und auf der anderen Seite eine kritische Beziehung zur Gesellschaft im allgemeinen und zum Kunstfeld im besonderen.
- Eine Verbindung zwischen Kunst und Wissenschaft im Studium, die Durchlässigkeit zu den Universitäten, stärker universitär definierte Kunststudien, die Aufhebung der Akademisierungsteilung sowie die Anrechenbarkeit von außerhochschulischen Veranstaltungen.
- Das Anbieten von Voraussetzungen, um die traditionelle KünstlerInnenrolle umdefinieren zu können, sowie Hilfe an die Studierenden, den eigenen Platz und die AdressatInnen im kulturellen Feld zu finden. Dazu gehört ein breiteres Anlegen der Ausbildung nicht in Richtung KünstlerIn, sondern auf einen Beruf im kulturellen Feld.
- Eine Entwicklung gegen die Forcierung des Irrationalen an den Hochschulen, für mehr diskursive Ansätze, für die Möglichkeit, methodisch-kritisch mit Kunst umzugehen.
- Die Öffnung der Meisterklassen, teilweise sogar deren gänzliche Abschaffung und Ersetzung durch Pools von Lehrenden, aus denen die Studierenden auswählen können. Weiters die Möglichkeit, in verschiedene Dialoge einzutreten, auch mit NichtkünstlerInnen, sowie künstlerische Dynamiken über konkrete Problemstellungen herzustellen, zum Beispiel im Rahmen von Projektunterricht.
- Keine Einteilung der Studienrichtungen nach Medien mehr. Bei derzeit diskutierten Kunstbegriffen, so schwierig solche auch zu fassen wären, ist es unmöglich, konkrete Ausbildungsgänge vorzugeben.
- Wichtig sind größere Lernfreiheit und die Einschränkung des umfassenden Lehrmeinungsmonopols.
- Die Kriterien für die Aufnahmsprüfung im besonderen und das Prüfungssystem im allgemeinen sind in Frage zu stellen.
- Die Hinterfragung der Aufnahmekriterien für Lehrende.
- Die Einrichtung von sinnvollen Professuren auf Zeit.
- Ein Streitfall mit sehr unterschiedlichen Standpunkten war die Frage der Studiendauer (Semesterzahl, Stundenzahl).
- Ein grundlegender Anspruch ist der nach mehr Mitsprachemöglichkeiten für alle Betroffenen bei den Entscheidungen innerhalb der Hochschule sowie gegenüber dem Ministerium, was auch größere Transparenz voraussetzt.
- Zu konkrete gemeinsame Vorgaben für die verschiedenen Hochschulen sind kontraproduktiv. Weiters wäre die Definition der Musikhochschulen als Interpretationshochschulen in Frage zu stellen.
- Anzustreben ist eine Synergie zwischen Fachhochschulen einerseits und Universitäten und Hochschulen andererseits statt der gegenseitig wegkonkurrenzierenden Haltung.
- Eine Voraussetzung für viele dieser Veränderungen wäre die Steigerung der Selbstorganisation durch flexible Rahmengesetze, allerdings mit tatsächlicher statt nur vorgetäuschter Autonomie.
- Vermittlungsprozesse innerhalb der Hochschule sowie zwischen Hochschulen und Gesellschaft müssen ernster genommen werden bzw. überhaupt erst initiiert werden.
- Sehr wichtig ist es, eine dauernde Diskussion zwischen allen Beteiligten in den Hochschulen über Kunst, Kunstvermittlung, Kunstlehre zu führen, denn nur aus einer derartigen Situation können profilierte SprecherInnen erwachsen, die Gruppeninteressen vertreten und nicht nur ihre eigenen. Die Reform ist als Prozeß zu verstehen, der nicht erledigt werden kann.
Besonders der letzte Punkt scheint mir eminent wichtig zu sein und eine Grundlage für alles andere zu bieten beziehungsweise eine konstruktive Reform überhaupt erst zuzulassen. Darin steckt nämlich vor allem die Möglichkeit der Emanzipation der Kunsthochschulen vom BMWVK, indem diese dem Ministerium die Initiative aus der Hand reißen und die Begriffe und Strategien für jede weitere Veränderung selbst produzieren.
Ein Projekt, das eine solche Kontinuität vorbereiten könnte, wäre die Installierung einer freiwilligen, gemeinsamen, vom Ministerium unabhängigen Selbstevaluierungs-Arbeitsgruppe aller Kunsthochschulen.
Für eine derartige Initiative existiert bereits ein konkretes Beispiel, nämlich die Selbstevaluation im sogenannten Nordverbund, einer Kooperation der Universitäten Bremen, Hamburg, Hamburg-Harburg, Kiel, Oldenburg und Rostock mit Unterstützung der Universität Groningen.
Die Prinzipien dieses Kooperationskonzeptes waren die Überregionalität des Projektes, die Freiwilligkeit der Teilnahme, die Kombination von Selbstbeobachtung und Fremdbegutachtung sowie die laufende Verbesserung des Verfahrens.
In den vier Arbeitsschritten dieses Verfahrens (1.Selbstevaluation, 2.Begutachtung, 3.Auswertung, 4.Veröffentlichung) waren die Konsensualität und die Zusammenarbeit von Lehrenden und Studierenden (sowie AbsolventInnen) entscheidende Basis der Arbeit. Das Projekt zeigte hohe kommunikationsstiftende Wirkung und ist zweifellos jeder Form von zwanghafter oder vom Ministerium durchgeführter Evaluierung vorzuziehen.* Eine solche Arbeitsgruppe könnte meiner Ansicht nach parallel zu den und anschließend an die derzeit laufenden Diskussionen in den Studienrechts- und Organisationsrechts-Gruppen im BMWVK zu wirken beginnen und neben der Evaluierung auch die vielen erst nach der legistischen Formulierung zu klärenden Punkte der Reform vorbereiten. Wichtig wäre allerdings eine möglichst weitgehende Transparenz der Entscheidungen, insbesondere durch regelmäßige öffentliche Diskussionen und Präsentationen in den Hochschulen.
Robert Temel